13.3.2010

Liebe UnterstützerInnen, liebe Freunde, liebe Familie
„Muraho!“ („Ihr lebt!“)
 

Nach langer Zeit melde ich mich mit meinem nächsten Rundbrief. Ich möchte wieder einen Einblick in mein Leben, meine Arbeit und meine Gedanken geben; einen Einblick in die Geschehnisse der letzten drei Monate. Für alle Rückmeldungen, Fragen und Gedanken zu meinem Rundbrief bin ich natürlich sehr dankbar, auch wenn ich leider nicht auf alle antworten kann. Die Zeit und die wie immer mehr schlecht als recht funktionierende Internetverbindung lassen es nicht zu. Danke schon einmal im Voraus für das Verständnis. Auch in der Gefahr, mich zu wiederholen - Unglaublich, wie die Zeit verfliegt! Weihnachten liegt nun schon fast drei Monate zurück, wir befinden uns jetzt mitten in der Fastenzeit, Ostern steht vor der Tür- das Jahr schreitet unaufhaltbar voran...mit grossen Schritten.

„Ndaho!“ („Ich lebe!“)

"This is Ghana for you, madam" - und der Versuch eines Vergleichs

Ende Januar bin ich, wie zuvor berichtet, zu meiner Reise über den halben afrikanischen Kontinent nach Gahna aufgebrochen, um dort an meinem Zwischenseminar teilzunehmen. Nach etlichen Steinen, die mir bei der Vorbereitung in den Weg gelegt wurden, war ich froh, als ich mich endlich auf diese grosse, aufregende Reise freün konnte. Doch war das so? Nein. Als ich am Tag der Abreise auf unserem Vorplatz vor der Kirche stand, den Blick über das Pfarrhaus und die Orleander gleiten liess, den Wind in meinem Gesicht spürte; nein, da wollte ich nicht gehen. Isaie und Florent kamen auf mich zu und sahen mich traurig an: „Tu pars, vraiment.“ („Du gehst wirklich.“) Ich sagte zu ihnen und v.a. zu mir selbst, dass ich ja wiederkäme. Dennoch. Ich musste mehr als einmal schlucken. Und als wir, Salvain und ich, abfuhren, schaute ich zurück und winkte. Wie wird es sein, wenn ich das letzte Mal zurückblicke, das letzte Mal diese Strasse entlang fahre?

Ich will gar nicht daran denken. Meine Freundin Maria, Freiwillige in Kigali, brachte mich am nächsten Tag zum Flughafen. Sie half mir sehr mit ihren Abschiedsworten: „Der Abschied ist doch überhaupt nicht schwer, ich weiss ja, dass du wiederkommst.“

Danach ab ins Flugzeug und los gings. über den Wolken, ein komisches Gefühl, das Land zu verlassen. Bei meiner Zwischenlandung in Addis Ababa traf ich Daniela Merkenich aus meinem Heimatdorf und damit ein echtes Koberner bzw. Gondorfer Mädchen auf dem riesigen afrikanischen Kontinent. Kaum zu glauben aber wahr. Nach einem bis in die Nacht gehenden Gespräch über Kobern, die Mosel, Rwanda und Äthiopien flog ich nach der plötzlichen Verlegung meines Fluges in der nächsten Nacht Richtung Accra, Ghana.

Schon nach der Landung auf dem Flughafen merkte ich einmal mehr beim Verlassen der Maschine: Nein, Afrika ist kein Land. Eine unglaubliche Schwüle schug mir ins Gesicht und brachte mich kurz zum Taumeln. Ich war in einer ganz anderen Welt angekommen. Diesen Eindruck durfte ich ein paar Stunden später noch einmal gewinnen. Ankunft in Abetife, wo das Seminar statt fand. Hier erlebte ich die ersten Tage Kulturschock Nr.2. Seit sechs Monaten hatte ich keine 30 Deutsche mehr auf einem Fleck gesehen. Und hatte Heimweh nach meinem Hügel. Im Laufe der nächsten Tage machte ich eine weitere Erfahrung. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Einerseits merkte ich, was mir in den letzten Monaten gefehlt hatte: Gute Gespräche mit „Tiefgang“ (um meine Seelenverwandte auf der anderen Seite des grossen Teichs zu zitieren), der Austausch mit Gleichgesinnten, die deutsche Sprache. Kurzum: Ich wurde mit voller Wucht wieder ins deutsche Leben geworfen. Andererseits wurde mir durch Gespräche klar, wie glücklich ich in Rwanda mit meinem Leben bin.

Nach einer Woche guter Gespräche, inhaltlich tollen Diskussionen, Arbeit in Kleingruppen, schönen Abenden und gutem Essen brachen wir auf in den Norden Ghanas, Richtung Tamale. Dort befindet sich der Mole Nationalpark, den ich gemeinsam mit zwei Freiwilligen aus Ghana und meinen SOFIA- Mitfreiwilligen Jana und Alex aus Burkina Faso besuchte. Gerade über das Wiedersehen mit letzteren war ich sehr froh; die Gespräche über Bekanntes tat gut und brachte uns ein Stück „SOFIA- Familie“ näher. Nach einer beschwerlichen Anreise (mit kurzer Unterbrechung dauerte sie über 24 Stunden) erlebten wir einen tollen Gang durch den Park. Früh morgens ging es los und die Ruhe tat gut nach einer Woche Seminar. Wir durften, ganz touri- like, Elefanten in freier Wildbahn bestaunen. Nichtsdestotrotz- ein beeindruckendes Erlebnis. Bald schon verabschiedeten wir die beiden Burkinabes und machten uns auf den Weg in den Süden. Die restliche Zeit verbrachte ich mit Kaddi und ein paar anderen Freiwilligen, aber hauptsächlich mit ihr, in ihrem Projekt (Nähe Kumasi) und an der Küste, in Komenda. Sie lernte ich sie in diesen knappen drei Wochen sehr gut kennen und verstand mich super mit ihr. Besonders die Zeit an der Küste war erholsam- und endlch konnte ich wieder das Meeresrauschen hören, das ich so liebe...

Zum Schluss der Versuch eines kurzen Vergleichs: Ghana ist riesig. Rwanda klein. Der Norden und Süden Ghanas unterscheiden sich unglaublich voneinander, im touristischen Süden gibt es richtige, grosse Häuser, Strom und im Norden traditionelle Rundhütten, Strom ist dort eher Mangelware. In Rwanda gibt es das Land und Kigali, grösstenteils Lehmhäuser und protzige Häuser in Kigali. In Ghana kauft man Trinkwasser in 500ml- Plastiktüten, die zusammen mit anderen Plastiktüten die Landschaft verschmutzen. In Ruanda sind Plastiktüten generell verboten. In Ghana wird Essen auf der Strasse verkauft (von Orangen über Unmengen von Brot bis zu frisch gekochten Mahlzeiten), was das Land und das Leben unglaublich lebendig macht. In Rwanda ist das Verkaufen von Essen auf der Strasse verboten (was Kigali zu einer westlich anheimelnden Stadt machen soll). In Ghana heissen Weisse „obruni“, in Rwanda „umuzungu“. Die Ghanär sind offener als die Rwander. Diesen Punkt lasse ich jedoch so stehen. Aufgrund der Geschichte Rwandas und der Probleme des Landes ist das verständlich. Normalerweise bin ich keine Freundin von Vergleichen, sie sind ausnahmslos generalisierend. Dennoch helfen sie zur persönlichen Orientierung und zur Beantwortung der Frage: Was ist gleich, was unterscheidet sich?

„This is Ghana for you, madam.“ Diesen Satz der Freiwilligen hörte ich täglich während meiner Zeit dort. Und ja - this was Ghana for me. Eine tolle Zeit.

Umunyobozi w’umusozi - zurück auf meinem Hügel

Die Umunyobozi w’umusozi , die „Hügelchefin“ ist zurück.
Ich hatte Angst vor der Rückkehr. Nach drei Wochen zum ersten Mal wieder alleine. Aber schon als ich auf dem Flug von Entebbe (Uganda) nach Kigali die ersten Worte auf Kinyarwanda hörte und verstand, schwächte dieses Gefühl ab. Und als ich dan zum ersten Mal wieder über „meine“ Strasse ging, Kinder meinen Namen nach drei Wochen Abwesenheit immer noch kannten und ich abends mit den Priestern wieder am Tisch sass, das typische „Vraiment, Teresa sha.“ („Also wirklich, Teresa, Liebes.“) hörte wusste ich - ich bin wieder zu Hause. Hier gehöre ich hin. Hier bin ich glücklich. „Wir haben dich sehr vermisst und die ganze Zeit die Tage gezählt, bis dass du wieder kommst.“, sagte Isaie ernst. Gibt es eine schönere Begrüssung?

In diesem Teil möchte ich über ein paar Anekdoten aus meiner „kleinen Familie“ (wie die Priester sie nennen) schreiben.
Das Leben in der Pfarrei hat nach wie vor seine Vor- und Nachteile. Vorteil ist das Gemeinschaftsleben, die Einbindung in die Arbeit der Pfarrei, die Rückzugsmöglichkeiten und die Ruhe in einem so „menschenvollen“ Land. Nachteil ist die Abhängigkeit von Essenszeiten, es gibt eine Wäscherin, in das Dorfleben kann ich lediglich kurze Einblicke gewinnen. Das kompensiere ich jedoch dadurch, dass ich selbst wasche, mit den Mädchen koche und täglich einen Abstecher durch das Dorf mache. Es überwiegen also eindeutig die Vorteile. Ausser- mein neuer Feind, der Fernseher. Stolz wie Oskar standen die Priester dabei, als die riesige Satellitenschüssel angebracht wurde, die jetzt meinen schönen Garten verunstaltet. Jeden Abend läuft nun die Glotze und sie sitzen wie hypnotisierte Kaninchen davor- v.a. wenn die Serie „Marina“ auf einem senegalesischen Sender läuft. Eine schlechter gemachte Seifenoper habe ich noch nie gesehen. „Les series montrent la vie.“ „Serien zeigen das Leben.“ Auf diese Diskussion lasse ich mich dann lieber nicht ein und bleibe dabei, das Geschehen zu kommentieren. Jetzt hat das Fernsehen also auch unser Wohnzimmer erobert. Gespräche wird es nicht ersetzen, aussser sie gehen dazu über, auch morgens und nachmittags den Flimmerkasten anzuschalten. Sonst muss ich als „la seule femme a la maison.“, als einzige Frau im Haus meine Rolle als „cheftaine“ neben Isaie, dem „chef“ Konsequenzen ziehen und das Essen boykottieren. ;)

Aber zum Glück habe ich seit Anfang März Unterstützung bekommen, Sebastian ist Kunst- und Biologielehrer in Deutschland und wird für drei Monate Kunstprojekte mit Schülern der ETP durchführen (u.a. ein Videoprojekt oder die Anfertigung von Fussballschuhen aus Naturmaterialien oder Gips). Und er kann Gitarre spielen =)

Die Gemeinschaft ist ein wichtiges Gut - sei es die unter uns im Pfarrhaus oder die mit den Schwestern von nebenan. Das wird besonders bei den Mahlzeiten deutlich. In den meisten Fällen wird gewartet, bis alle besammen sind, erst dann wird angefangen. Das Essen wird geschätzt, man nimmt sich Zeit, auch wenn ein Termin ansteht. Manchmal sitzen wir über eineinhalb Stunden am Tisch. Habe ich das am Anfang als nervig empfunden, so geniesse ich jetzt jede Minute. In Deutschland wird das gemeinsame Essen oft nicht genug geschätzt. Mir ist ausserdem aufgefallen, dass ich durch das Miteinander abends viel ruhiger schlafe und weniger träume...

Durch dieses Miteinander bekomme ich auch einen Einblick in das Gemeindeleben. Mittlerweile bin ich auch Teil der Lektoren, nachdem ich bis jetzt zwei Mal eine der Lesungen gelesen habe. Der Termin für das nächste Mal steht noch nicht fest, aber bis jetzt ist die Rückmeldung positiv. Letzte Woche habe ich auf meinem Sonntagsspaziergang einen Mann getroffen, der mir sagte, dass ich sehr gut gelesen hätte und daraufhin fragte, wann ich das nächste Mal läse. Das war ein schöner Moment - er verband mit mir nicht nur das „muzungu- Sein“ sondern meine Lesung in der Kirche. Dies hat das gleiche Glücksgefühl hervorgerufen, dass auch die Kinder, die mich auf der Strasse mit meinem Namen grüssen auslösen.

Zurück zum Gemeindeleben. An einem Tag vor Weihnachten war „Beichttag“: Den ganzen Vormittag und frühen Nachmittag über füllten ungelogen ca.300 Menschen die Kirche, in deren Ecken verteilt die drei Priester die Beichte abnahmen. Jeder Katholik sollte ja (mindestens) einmal im Jahr zur Beichte gehen. Ich weigere mich standhaft (und werde es auch weiterhin tun). Das Problem ist seit heute nur, dass ich so dumm war, ihnen zu sagen, dass ich seit meiner Erstkommunion nicht mehr zur Beichte gegangen bin. Sie schlugen nur die Hände über den Köpfen zusammen- „Vraiment, Teresa.“ Die Beichtkultur hat in Deutschland eben deutlich an Bedeutung verloren.
Ein anderes Beispiel für das rege Gemeindeleben ist eines der letzten Jugendtreffen, die immer am Wochenende („week-end des jeunes“) stattfinden. Bei besagtem Treffen fanden sich, so O- Ton der Priester, „nur“ ca.500 Jugendliche ein. Diese Dimensionen kann man sich in Deutschland wohl kaum vorstellen. Auch mich versetzt diese „Menschen - Menge“ immer wieder in Staunen. Der Einfluss der Kirche hier ist ungemein gross - die Beurteilung dessen lasse ich an dieser Stelle unbenannt.

Zurück zur Arbeit - ein Neubeginn im Nähzentrum

Ich bzw. Wir haben fünf Monate gebraucht, um Vertrauen zueinander zu fasen und um locker, freundschaftlich miteinander umzugehen. Die Mädchen, deren Namen ich zuletzt alle kannte (was gar nicht so einfach ist, z.B. Uwimana- die von Gott gesandte), freuten sich jeden Tag, wen ich kam, mit ihnen nähte, scherzte und plauderte. Der Höhepunkt der Woche war ganz klar das Kochen immer dienstags (und nicht, wie von mir erhofft, der Englischunterricht). Zwei Gruppen wechselten sich wöchentlich ab, sodass ich die Mädchen mit der Zeit immer näher kennen lernte. Wir schwitzten gemeinsam über dem heissen Feuer, sie stritten sich darum, wer denn jetzt den besten Reis mit Bohnen oder das beste Omelette macht, wir probierten das Essen so lange, dass wir oft satt waren, bevor es auf dem Tisch stand. Letztlich durfte ich sogar alleine ihre „Kochexamen“ abhalten. Jede bekam entweder alleine oder zu zweit einen Teil zugeteilt (Bohnen, Bananen...), den sie selbständig und ohne meine Hilfe zubereiten mussten. Wie das bei Prüfungen so ist, versucht man sich natürlich trotzdem anderweitig zu helfen - entweder versuchten sie, doch etwas aus mir heraus zu bekommen oder fragten die anderen. Am Ende des Examens stand das Kosten des Essens durch die Schwester, die zwei Lehrerinnen und mich an. Dazu gehörten auch die Fragen nach dem Verhalten bei Tisch, wie man einen Tisch richtig deckt oder wie genau sie ihre Mahlzeit zubereitet hatten. Bei ihrer Präsentation merkte ich wieder, wie schlecht sie sich ausdrücken können, wie unsicher sie sind...was ich hier schon an so vielen Mädchen festgestellt habe.

Neben dem Kochen darf ich jedoch den Englischunterricht nicht vergessen. Irgendwann waren wir an dem Punkt: Sie verstehen mich, ich verstehe sie. Die Hürde der Sprache meisterten wir trotz immer wieder auftretender kleiner Missverständnisse gemeinsam. Sie fingen an, etwas zu lernen. Hauptsächlich hatten sie Spass daran, mir dabei zuzugucken, wie ich mich bemühe, ihnen etwas beizubringen. Oder, wie Mädchen so sind, meine Kleidung zu betrachten. Ich liess mich darauf ein und versuchte mehr oder weniger erfolgreich meine Witze auf Kinyrwanda zu reissen und ihnen einfach durch meine Anwesenheit eine Freude zu bereiten. Das war die Hauptsache des Unterrichts.
Und jetzt sind sie weg. Am 28.1. fand ihre Abschlussfeier mit Zeugnissausgabe statt, für die sie sich extra eigene Kleidung genäht hatten. Leider konnte ich daran nicht teilnehmen, weil ich an diesem Tag schon in Ghana war. Darüber war ich sehr traurig. Am letzten Tag an dem ich sie sah haben sie mir gesagt, dass sie zu Beginn Berührungsängste hatten, weil ich so „sauber“ sei, aber dass sie jetzt viel Freude mit mir hätten und auch ein wenig Englisch verstünden.
Schade,dass sie gerade zu dem Zeitpunkt, als alles rund lief, gehen mussten. Jetzt gibt es eine neue Mädchenklasse und ich darf/ muss noch einmal von vorne anfangen. Es stellen sich auch schon die gleichen Probleme wie mit den anderen heraus: Berührungsängste und anfangs die Frage: „Wie sollen wir Englisch lernen, wenn sie kein Kinyarwanda kann?“ Zumindest von Letzterem sind sie mittlerweile etwas abgewichen, weil sie in der ersten Stunde ganz erstaunt waren, wei gut es funktionieren kann.
Ich habe viel im Zusammensein mit der ersten Klasse gelernt, was den Umgang mit den Mädchen betrifft. Ich hoffe, dass es diesmal nicht so lange dauert, bis wir uns aneinander gewöhnt haben. Denn dann bin ich weg..

Zurück zur Arbeit- „Teresaaaaaaaaaaaaa, uzagaruka ryari?“

„Teresaaaaaaaaaa, wann kommst du wieder?“ Diese Frage der Kinder höre ich jeden Tag, wenn ich meinen Standardsatz „ndatashe“ („Ich gehe nach Hause.“) hervorgebracht haben nachdem ich zwei Stunden dort war. Meistens bricht dann die Diskussion aus, wann. „Kommst du morgen früh?“ „Nein, komm nachmittags.“ Das ist ganz davon abhängig, wann sie zur Schule müssen, denn sie teilen sich täglich in zwei Gruppen auf. Die eine geht morgens, die andere nachmittags. Grund dafür ist die Überfüllung der Klassen.
Irgendwann hatte ich es ja geschafft, sie vom Fussballspielen abzubringen (ein wenig egoistisch, aber ich bin einfach zu schlecht). Das neueste Lieblingsspiel war „Memory“. Wir spielten einen ganzen Monat lang jeden Tag Memory. Kann man mit deutschen Kindern einen Monat lang jeden Tag ein und das selbe Spiel spielen? Nein. Ich war wirklich fasziniert. Mittlerweile ist die Liebe dazu aber von selbst abgekühlt. Jetzt ist „Schwarzer Peter“ das neue Lieblingsspiel. Zur Abwechslung habe ich ein „Mensch’ ärgere dich nicht“ aus Kronkorken gebastelt. Das kommt leider nicht so gut an, weil es ihnen meist zu lange dauert. Ausserdem konnte ich ihnen die Regeln nicht ganz so gut vermitteln. Wenn sie eines in den letzten Monaten gelernt haben, dann das Zählen auf Englisch - beim Memorykarten zählen, Pärchen beim SP herausfinden...

Zum Ausgleich bringe ich meist Papier und Stifte mit, um ein wenig Ruhe in die Gruppe zu bekommen.
Nach zwei Stunden bin ich meistens platt, da es auf die Dauer wirklich anstrengend ist. Ein Streit pro Tag gibt es mindestens, oft kommen ein paar der älteren zu mir, um mich etwas über Englisch zu fragen. Dennoch bin ich immer so froh und zufrieden, wenn ich durch die Abendsonne nach Hause gehe.
Vor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit, einmal mit der leitenden Schwester Marguerite über die Krankheitsbilder und Geschichte der Kinder zu sprechen. Es ist in den meisten Fällen wirklich traurig. So gibt es ein Mädchen, das von klein auf mit den Tabletten gegen den Ausbruch von AIDS vollgestopft wurde und dazu regelmässig von ihrem Vater geschlagen wurde. Das hat bleibende Schäden hinterlassen, sodass sie jetzt z.B. zum dritten Mal die erste Klasse wiederholt. Sie ist immer ganz enttäuscht, wenn ihr etwas nicht gelingt. Daher war sie neulich ganz froh, als ich ihr beim MADN das Zählen beibrachte.

Mit offenen Augen

Die Regenzeit hat begonnen, auf einen sonnigen Morgen flogt meist ein kurzer, kräftiger Schauer am Nachmittag, nach dem wieder die Sonne scheint. Unterbrochen von Tagen, an denen es den ganzen Tag durchregnet. Für mich war der Beginn der Regenzeit nach dem heissen, schwülen Ghana eine Erleichterung.
Jeden Tag staune ich nach wie vor über diese unglaubliche Natur, höre das Zwitschern der Vögel, das Gemecker der Ziegen und morgens ab fünf die Hähne, wenn sie um die Wette den Tagesanbruch ankündigen. Ich gehe mit Freuden immer die gleiche Strasse entlang. So kann ich jetzt zwei Kinder meine Freunde nennen, zwei richtige Haudegen, die immer zusammen unterwegs sind und mich tagtäglich zum Lachen bringen.
Nachts höre ich Autos, die im 500m Luftlinie entfernten Buguma fahren (was sehr selten vorkommt), staune immer noch über den Sternenhimmel.
Ich habe meinen Platz gefunden, obwohl ich zugeben muss, dass ich oft vielleicht ein zu routiniertes Leben führe. Aber mir geht es gut dabei. Ich habe mir vorgenommen, Rwanda ein wenig mehr kennen zu lernen - trotz der Tatsache, dass ich mein Dorf nur ungern verlasse. Aber leider rennt die Zeit...

Muraho?! – meine Sorgen und unruhige Zeiten

Die Begrüssung „Muraho“, „Ihr lebt“, die die Ruander nutzen, wenn sie sich längere Zeit nicht gesehen haben, ist für mich immer eindrucksvoll, nachdrücklich. Mal beantwortet duch ein einfaches „Yego“ („Ja“) oder ein mal mehr oder weniger überzeugtes „Turaho“ („Wir leben“) bzw. „Ndaho“ („Ich lebe“). Für mich ist es oft nicht nur eine so dahergesagte Floskel. Ja, ihr lebt! Wir leben! Das Leben ist etwas Besonderes, kämpft, haltet es fest...

In ein paar Wochen ist April und damit auch die alljährliche Völkermord - Gedenkwoche. In dieser Zeit finden Diskussionen statt, die Menschen können die Priester für Gespräche aufsuchen und das Leben wird einen Gang heruntergeschaltet.

Seit ich zurück aus Ghana bin, gab es insgesamt zehn Anschläge in Kigali. Auf Busse, die Busstation und eine Bar. Offiziell wurde bei dem ersten Anschlag „nur“ ein Mensch getötet. Nach ein paar Anschlägen hörte die Berichterstattung auf, um die Menschen nicht zu beunruhigen. In Deutschland wurde lediglich in der taz über die Vorfälle berichtet. Sie gibt die Rückkehr der oppositionellen Präsidentschaftskandidatin als Grund an, der auch hier offiziell gilt.

Zusammenfassend heisst das also, dass die Präsidentschaftswahlen einerseits und, wie jedes Jahr, die bevorstehende Gedenkwoche andererseits, die Gründe sind. Von der deutschen Botschaft kam lediglich eine E-Mail mit einem Hinweis, sich nicht bei Nacht an der Busstation in Kigali aufzuhalten. Nicht ausreichend, um sich ein Bild zu machen. Zumal die Leute nicht über Gründe reden, es ist Tabuthema. Als Weisse bin ich sowieso aussen vor, man muss sich gut überlegen, wen man darauf anspricht. Zum Glück habe ich zwei Priester, mit denen ich reden konnte. Sie halten die offiziellen Gründe für vorgeschoben. So schlimm sei es seit zehn Jahren nicht gewesen und man merkte ihnen ihre Angst an. Das Gesprach liegt mittlerweile eine Woche zurück, ich mache mir zwar noch Sorgen, aber ich habe nichts Neues mehr gehört. Hoffentlich ist auch nichts mehr passiert und hoffentlich wird das so bleiben.
Obwohl ich in meinem Rundbrief nicht politisch werden sollte, konnte ich es als hier lebender Mensch nicht vermeiden. Ausserdem kreisen meine Gedanken darum.

Die Zeit rennt - was bleibt...

Augenblicke kann man nicht festhalten, man behält lediglich die Erinnerung. Bald sind es nur noch fünf Monate...
Ich hoffe, euch/ Ihnen ein paar Eindrücke aus meinem Leben, von meinem Zuhause hier vermittelt haben zu können. Ende Mai werde ich mich mit meinem nächsten Rundbrief melden.
Bis dahin...wünsche ich allen, dass endlich der Frühling Einzug hält und schon einmal „Frohe Ostern“!

Ndaho! ...hier mit vollem Herzen.
Teresa

„Dabei wissen wir doch:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach wir,
Die wir den Boden bereiten wollten für die Freundlichkeit,
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es so weit sein wird,
Dass der Mensch dem Menschen ein Hilfer ist,
Gedenket Unserer
Mit Nachsicht.“
(aus: Bert Brecht, An die Nachgeborenen)