13.8.2010

Liebe UnterstützerInnen, liebe Freunde, liebe Familie,

hier mein letzter Rundbrief. Ich entschuldige mich im Vorhinein schon einmal für die mangelnde Gliederung (...einige werden schmunzeln...), aber die Grüde dafür werden aufgeführt.
Vielen vielen Dank für jegliche Form der Unterstützung in diesem Jahr! =) - Wir sehen uns in Deutschland...

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend/ Dem Alter weicht, / blüht jede Lebensstufe,/ Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend/ Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern (...)“

Ich sitze in meinem Zimmer, wir haben den 8. August 2010, Sonntagabend. Ich höre alte Alben, die alte, stark verblasste Erinnerungen hervorrufen und die mir mittlerweile weit weg erscheinen, ganz so, als lägen sie schon Jahre zurück.

Dabei ist es nur ein Jahr. Ein Jahr, in dem sich Vieles, alles verändert hat. Ein Jahr, in dem ich ein ganz anderes Leben gelebt habe. Die 13 Monate sind vorbei. Meine Zeit hier ist abgelaufen, aller Sand durch meine Finger geronnen. Ich kann weder die Zeit zurückdrehen noch den Sand in eine Sanduhr verbanne

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe/ Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,/ Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern/ In andre, neue Bindungen zu geben(...)“

In diesen meinen letzten Tagen komme ich kaum zur Ruhe. Zu sehr bin ich zwischen den Welten gefangen. Mit dem Herzen noch ganz hier und im Kopf schon die Gedanken an die Zukunft. Das ruft eine Zerrissenheit hervor, die mir an die Substanz geht. Denn eigentlich will ich meine letzten Tage hier in vollen Zügen genießen. Mir fällt es sehr schwer, Abschied zu nehmen. Ich habe noch gar nicht realisiert, dass es bald soweit ist. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht, wo ich doch gar nicht hier her wollte...

Oft denke ich: Was ist das? Man baut sich ein Jahr lang ein Leben auf und soll es dann innerhalb von 12 Stunden wieder zerstören. Innerhalb von 12 Stunden Flug lässt man 13 Monate Leben einfach so hinter sich. Dem entgegne ich viele Argumente...und so geht das oft in der letzten Zeit.

Wenn ich traurig bin, dann lasse ich den Blick über meine Fotos und meine Weltkarte schweifen und meine Lieben in Deutschland und anderswo sind mir auf einmal wieder nah. Nicht so wie in den vergangenen Monaten. Gleichzeitig verspüre ich eine Angst, Nervosität: Ich werde wieder in die Leistungsgesellschaft zurückgeworfen, in der der Kampf um die besten Plätze tobt. Zurückgeworfen in die Gesellschaft, aus der ich vor einem Jahr geflüchtet bin. Aber ich habe gemerkt, dass ich Teil dieser bin. Ich hoffe, dass ich nicht wieder in diesen Strudel gerate, aus dem ich mich in diesen 13 Monaten gezogen habe- sondern langsam hervortaste, um meinen Platz zu finden. Vergleichbar mit einem großen Saal, in dem nichts ist außer aberhunderte von freien Stühlen und einer Bühne. Du hast die freie Auswahl und musst dir einen aussuchen. Du setzt dich und überlegst, ob du eine gute Sicht hast. Das gute an Stühlen ist, dass du sie immer wechseln kannst, wenn dir die Sicht nicht mehr passt.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,/ Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“

Wie man lesen kann, bin ich im Moment viel mit meinen Gedanken beschäftigt. Daher werde ich mich in meinem letzten Rundbrief hauptsächlich mit diesen in Bezug auf meine Lebensbereiche auseinandersetzen. Seit Sebastians Abreise und meinem vorangegangenen Rundbrief Mitte Juni scheint die Zeit noch schneller vorangeschritten zu sein als vorher. Mitte Juni widmete ich meine Zeit zum größten Teil meinen Projekten. Von morgens bis abends war ich unterwegs und fand wenig Zeit für mich. Doch das war gut so. Ein Tag ist mir besonders im Gedächtnis geblieben.

An einem Mittwoch fragte mich Isaie spontan, ob ich nicht gemeinsam mit ihm und Schwester Beata die Familie des Diakons besuchen wolle, der am 14.8. bei uns in der Kirche zum Priester geweiht wird. Ich sagte zu und nachmittags brachen wir bei größter Hitze auf. Auf unserem Weg durch Bananenhaine, Reisfelder und auf und ab die Hügel herrschte eine gelöste Atmosphäre. Wir trafen viele Menschen, die sich über die außergewöhnliche Konstellation (Schwester, Priester, Weiße) wunderten. Die Familie freute sich riesig. Sie wohnen in einfachsten Verhältnissen, drei kleine Lehmhäuser, die einen Hof umschließen. Frisch geerntete Hirse liegt zum Trocknen auf dem Fußboden. Hühner versuchen, ein paar Körner zu stibitzen, während die Mutter des Diakons schlechte Hirsekörner aussortiert. Unsere Ankunft bleibt auch bei den Nachbarn nicht unbemerkt. Schnell versammeln sich Kinder, Frauen und Männer im Innenhof, wir nehmen auf Holzbänken Platz. Alle freuten sich riesig über den Besuch und begleiten uns nach gemeinsamem Gebet so wie es hier Brauch ist, noch ein kleines Stück auf dem Nachhauseweg. Das war für mich noch eine neue einmalige Erfahrung, die ich nicht vergessen werde.

Ein ganz anderes Erlebnis hatte ich vor zwei Wochen als einer der reichsten Männer im Dorf geheiratet. Eine riesige Feier ganz im Stil der reichen Familien Kigalis- mitten im Dorf. Die Braut in strahlendem Weiß, die Brautjungfern in Gold und gleich sechs Priester bei der Messe anwesend.

Anfang Juli kamen meine Mama und meine Schwester zu Besuch. Meine Aufregung und meine Angst stelten sich als unbegründet heraus. Ich war froh und stolz, ihnen mein Leben zeigen zu können. Nach den ersten Tagen an anderen Orten des Landes kamen wir in mein Dorf und meine beiden Welten trafen aufeinander. Es war unglaublich, wie sehr sich die Menschen und insbesondere die Priester freuten, meine Familie kennen zu lernen. Der vorletzte Abend gemeinsam mit den Priestern war für uns alle und v.a. für mich ein ganz besonderer. Ein paar Wochen vorher hatten die Priester schon angekündigt, dass sie mir meinen ruandischen Namen erst geben würden, wenn meine Mama da ist. Ausgesucht hatten sie ihn schon vor Ostern. Es traf sich gut, dass meine Mama als Geschenk eine Kerze mitgebracht hatte, auf der alle unsere Namen stehen. Diese diente dann als „Taufkerze“. Glücklicherweise war Stromausfall, sodass der Fernseher ausblieb und eine gemütliche Atmosphäre herrschte. Isaie begann mit der kleinen Zeremonie auf Kinyarwanda und ich übersetzte für meine Mama auf Deutsch. Ich kann gar nicht beschreiben, wie schön das war. Am Ende gab er mir meinen Namen: Umutoniwase (U= Vorsilbe für Mädchennamen, mutoni= Liebling, wa= vom/des se= Vater). Warum sie mir gerade diesen Namen gaben? Weil ich gleich mehrere Väter habe: Meinen leiblichen Vater, die Priester und Gott. Einen passenderen Namen hätten sie mir nicht geben können...

Der Abschied von den Priestern fällt mir am schwersten. Sie sind zu meiner Familie geworden. Viele Menschen in Deutschland können sich nicht vorstellen, dass ich ein Jahr lang mit Pristern zusammengelebt habe, jeden Tag in die Messe gegangen bin und abends nach acht nicht mehr aus dem Haus. Diese Art zu leben hat meinen Blick auf andere Dinge gelenkt- und mir sehr viel Ruhe gegeben. In einem Land, wo überall Menschen sind, habe ich in der Pfarrei meinen Rückzugsort gefunden und in den Priestern die Menschen, die mich am besten von allen hier kennen und in mir immer die Person, nie die Weiße gesehen haben. Doch wie haben sie am Ende zu meiner Mama gesagt: „Wir würden Teresa so gerne hier behalten. Aber wir sind Priester.“ Und Priester sollten nun einmal nicht mit Mädchen zusammenleben.

Auch der Abschied von den Schwerstern und insbesondere von Carla fällt mir schwer. Mit ihnen, den „starken Frauen von Nyarurema“, habe ich ebenfalls viele schöne Momente erlebt. Doch für mich ist es wunderbar zu sehen und mitzuerleben, wie sich meine Nachfolgerin Johanna bei Carla einlebt und sich langsam ihren Weg hier bei uns sucht. Das macht es für mich einfacher zu gehen.

Nicht zuletzt fällt es mir schwer, von den Mädchen und den Kindern sowie meiner Freundin Genevieve Abschied zu nehmen.

Wenn ich den Kindern versuche zu erklären, dass ich bald gehe und so schnell nicht wiederkomme, da verstehen sie das kaum. Als ich einem der älteren Mädchen im Aidszentrum sagte, dass ich nicht wüsste, wann ich zurückkäme, antwortete sie mir: „Wenn du wiederkommst, bin ich längst tot.“ In diesem Moment war ich sehr geschockt und den Tränen nahe.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,/ An keinem wie an einer Heimat hängen,/ der 'Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,/er will uns Stuf um Stufe heben, weiten!“

Dies sind die Hürden, die ich nehmen muss in meinem Abschiedsprozess, der immer weiter voranschreitet. Selbst wenn ich in den letzten Wochen schon gemerkt habe, dass die Luft raus ist und es Zeit wird, zu gehen- loslassen konnte ich noch nie gut.

Vor ein paar Wochen habe ich mit einer anderen Freiwilligen überlegt, was wir vermissen werden und worauf wir uns in Deutschland freuen.

Was werde ich vermissen...d ie rauschenden Bananenblätter... der Sternenhimmel... die Kinder, die einem auf der Straße entgegenlaufen und die kurzen Arme in heftiger Umarmung um die Beine schlingen... der prasselnde Regen... die Natur... die Trommeln im Gottesdienst... meine Lieben... das Obst... mein Garten... das gemeinsame Wäschewaschen mit Chantal... die Mahlzeiten mit den Priestern... das Sich-füreinander-Zeit-nehmen... die Wertschätzung der Begrüßung.......

Das, was Rwanda für mich ausgemacht hat, ist das Leben... in der Gemeinschaft, im Dorf. Jeden Tag die gleiche Straße zu gehen, die Menschen zu kennen, die einem begegnen und doch immer wieder neue Erfahrungen zu machen.

Das einfache Leben und den Alltag miteinander zu teilen. So konnte ich eine neue Kultur kennenlernen, ganz so wie ein Statist in einem Theaterstück. Man ist Teil des Stücks, hat seinen Platz und seine Aufgaben, trägt seinen Teil zum Ablauf bei und bleibt dennoch Randfigur.

Irgendwann ist es Zeit, zu gehen.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise/ und traulich eingewohnt, / so droht Erschlaffen!/ Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen (...)“

Dieses Jahr und meine Erinnerungen daran werden mich mein ganzes Leben prägen und begleiten.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstufe/ uns neuen Räumen jung entgegen senden:/ des Lebens Ruf an uns wird niemals enden./ Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

Teresa

+++ Zwischentexte von Herman Hesse +++ siehe auch bei WIKIPEDIA